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Heidnische Praxis I: Priesterschaft? Ein paar Gedanken.

Angeregt einerseits durch Wurzelfraus Artikel über spirituelle Basisdemokratie, andererseits durch eine Unterhaltung mit einer katholischen Bekannten, die über Widersprüche in puncto Priesteramt für Frauen stolperte, habe ich mir ein paar Gedanken gemacht, wie das denn so mit der Priesterschaft im Heidentum aussieht.

Denn irgendwie scheint dieser Titel oder seine Äquivalente – „Gode“, „Druide“ etc. – auf Heiden immer noch eine gewisse Anziehungskraft auszuüben. Nun kam ich aus einer Ecke, die Hierarchien jeder Art ablehnt (meine erste Begegnung mit dem Thema Hexen waren die Bücher von Luisa Francia). In keiner Gruppe, in der ich je unterwegs war, gab es „Leiter“ oder „Hohepriester“. Ich meinte sogar manchmal das Gegenteil wahrzunehmen: Bloß keine Hierarchie, keine Struktur, und damit ging manchmal eine Tendenz zur Desorganisation einher, die dann an den Nerven zehrt, wenn eine tatsächlich etwas auf die Beine stellen, etwas tun möchte. (Spielregeln und Strukturen haben ihren Sinn. Wenn man nicht von selbst in eingefahrene Gleise, die allzu oft Machtstrukturen der etablierten Gesellschaft wiederspiegeln, verfallen will, dann muß man diese Regeln und Strukturen bewußt erarbeiten und regelmäßig bis laufend revidieren. Das nur als Seitengedanke.) Demgegenüber gibt es außerhalb der feministischen Hexenkreise auch sehr formalisierte Hierarchien, etwa im Wicca, wo Initiationen und Grade vergeben werden und die Befugnisse (z.B. Rituale leiten, Leute ausbilden, eigene Coven gründen) regulieren.

Priesterschaft in der griechischen Antike Demgegenüber war die Funktion der Priesterin, des Priesters oder was damit auch gleichgesetzt wird, in der vorchristlichen Welt wahrscheinlich oft unspektakulärer. Zum Beispiel im antiken Griechenland:

In der griechischen Antike war das Priesteramt genau das: ein Amt. Keine Berufung, keine Ausbildung, keine Weihe. Man kam zu diesem Amt auf verschiedene Weise, je nachdem, um welche religiöse Einrichtung es sich handelte. Aber im Prinzip konnte jeder jede religiöse Handlung durchführen – auch Frauen und Sklaven. Das war durchaus nicht üblich, in anderen Ländern wie zB Persien konnten nur die „magi“ religiöse Handlungen durchführen. Das griechische Priesteramt entstand ganz simpel aus der Rolle des Familienoberhauptes im Rahmen der privaten, familiären Verehrung der Götter. Und da die Gemeinde die nächste größere soziale Einheit ist, war der Gemeindevorsteher dann auch in religiösen Belangen für seine Leute zuständig, wurde also zum „Priester“. Dies wurde dann in den großen Städten mit demokratischer Regierungsform etwas schwierig, somit wurde immer einer der Magistraten zum Vorsteher für eine bestimmte Festlichkeit ernannt. Praktischer Weise musste er für diese Ehre die Feier aus eigener Tasche bezahlen. In Athen gab es nach der Erfindung der Demokratie trotzdem einen „König“ (basileus), der für die „traditionellen Opfer“ zuständig war (also sozusagen einen Sakralkönig). Natürlich gab es im Bereich der Tempel und sonstigen Kultstätten fixes Personal, also „Priester“ (hiereis, hiereiai), die für die Einhaltung der richtigen Vorgehensweise beim Opfern zuständig waren oder auch bei Orakelstätten für die richtige Deutung des Orakels. Oft wurde das Priesteramt im Tempel innerhalb der Familie weiter vererbt. 1

Spirituelle „Experten“ Im wesentlichen stimmt die Behauptung: ich bin meine eigene Priesterin. Oder eher, ich brauche keinen Titel und keine Legitimation für das, was ich spirituell so mache, für das Weltenwandern und die Kommunikation mit denen in den anderen Welten. Es gibt jedoch Situationen, wo ich Leute frage, bei denen ich darauf vertraue, daß sie mir mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten helfen können, und sei es nur, daß sie nicht selbst in dem Schlamassel stecken, aus dem ich mich nicht an meinen eigenen Haaren ziehen kann. Wenn ich vor einem Problem stehe, wo ich „blinde Flecken“ habe, ist es durchaus sinnvoll, daß ich mir z.B. die Karten von jemand anderem legen lasse. Wenn ich etwa eine Visionssuche nach indianischem Vorbild machen möchte, dann wende ich mich an jemanden, der darin möglichst Erfahrung hat und auf eine Ausbildung zurückgreifen kann. Oder wenn es um eine Zeremonie für mich ginge, in der etwas mich betreffendes gefeiert wird (ein wohl vielen einsichtiges Beispiel: wenn ich etwa eine Hochzeitszeremonie wollte): das will ich einfach nicht als One-Woman-Show machen. Ich wähle da, wenn möglich, jemanden, den etwa Freunde empfehlen oder den ich persönlich kenne.

Würde ich gyðia sein wollen? Die Rolle einer spirituellen Expertin zu übernehmen, würde für mich vor allem eine Verpflichtung bedeuten. Es würde bedeuten, daß ich, wenn jemand aus meiner Heilsgemeinschaft Bedarf hat, bereit bin, mein Wissen und meine Übung für ihn/sie einzusetzen – und das kann dann darin bestehen, daß ich für diese Person die Runen werfe, einen Gegenstand gestalte, einen Zauber wirke. Es kann heißen, daß ich für diese Person ein Lied, ein Gedicht, einen Text verfasse. Es kann bedeuten, daß ich Faktenwissen vermittle. Es kann auch heißen, daß ich ein Ritual entwerfe, gestalte, durchführe, das nur zwei Personen beinhalten kann oder auch zwanzig, dreißig, fünfzig. Es wäre für mich ein Dienst an der Person, die mich darum bittet, und an der Gemeinschaft, aber keine Position irgendwelcher Autorität oder Macht.

Oder, wie es Duke in bezug auf die Nornirs Aett formuliert:

Wir “Ættlinge” haben keine “Priester” – wir haben einstimmig gewählt sein müssende Vertrauensleute, die kein Jota mehr Recht oder Befugnisse haben als andere Nasenträger, sondern nur zusätzliche Pflichten der Gruppe gegenüber… jeder und jedem Einzelnen von uns. Wir, die Gruppe, gewähren unseren entsprechend Ambitionierten ggf. die gnadenvolle Anerkennung, für die andern einige Dreckarbeit machen zu müssen und nonstop Wache stehen zu dürfen für das Wohl unserer kleinen “Allgemeinheit”. Und wehe, diese so Beauftragten zicken. DAS sind unsere Goden, Weiber wie Kerls… Und benötigten wir die Kleiderordnung des Bürgerstaates in unserem darin befindlichen Privathaufen, dann trügen unsere Goden eher die leuchtorangenen Westen städtischer Reinigungsbeauftragter als den hehren Schwarzkittel irgendwelcher Kirchenpfaffen. Spirituelle Deutungsbefugnis haben unsere Goden schon gar nicht! 2

Ich persönlich fühle mich im Moment zu dieser Rolle nicht berufen und fühle mich auch nicht in der Lage, diese Rolle angemessen auszufüllen. Es reicht mir, erst einmal mein eigenes Leben in dieser Hinsicht wie in anderer in den Griff zu bekommen.

Die eigene Erfahrung ist unersetzlich Der lebendige Kontakt mit den Göttern, das ist eine Sache, die nur ich allein erleben kann, eine Erfahrung, die niemand für mich machen kann. Und sogar die begrifflichen Grundlagen, die ich meinen Gebeten, Ritualen, meinen schamanischen Reisen zugrundelege, sind solider, wo ich etwas durchdacht, gedreht, gewendet, von allen Seiten betrachtet, will sagen: mit meinem eigenen Kopf dran gearbeitet habe. Ohnehin gibt’s mein Heidentum ja nicht als fertiges Produkt, es ähnelt eher einem Mosaik in fortwährender Arbeit und in ständiger Bewegung. Warum sollte ich also den Anspruch erheben, jemandem diese Erfahrungen und diese Arbeit abzunehmen?

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