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Heidnische Praxis IV: Gedanken über heilige Tage

Eins der Dinge am Heidentum, über die viel geschrieben wird, ist der Festtagskalender, vor allem die gern zitierten acht Jahreskreisfeste. Und immer wieder die Frage: Was war zuerst da? Kann ein Fest, so wie es heute von Heiden gefeiert wird, als authentisch bezeichnet werden?

Kerze
Bild: sxc.hu

Es erscheint mir als nahezu unlösbare Aufgabe, auseinanderzuhalten, was am Brauchtum rund um die Jahreszeiten vielleicht heidnische Wurzeln haben mag und was christlich ist, was eventuell aus der regionalen Aneignung des Christentums erwachsen sein mag. Mir scheint es als die ehrlichste Position, zuzugeben, daß die Feste, wie moderne Heiden sie heute feiern, eine Neuerfindung sind – und diese Neuerfindungen dann aus dem eigenen Verständnis der Jahreszeiten und der Mythologie neu zu gestalten.

Meine wichtigen Tage unterscheiden sich deutlich vom Wicca-Jahresrad. Zum einen, weil für mich die Sonnenfeste wichtiger sind. Und zum anderen, weil mir auch die Wicca-Mythologie nichts mehr sagt. Mein Jahreskreis hat keinen einheitlichen Mythos, und wenn es etwas gibt, was ich damit würdige, so sind es zuallererst die Lichtverhältnisse.

Nehmen wir die Zeit um die Wintersonnenwende. Ich fühle mich um diese Zeit meistens erschöpft, mag mich zurückziehen, nicht aus dem Haus gehen. Wärme und Licht fehlen mir. Die frühe Dunkelheit nimmt mich mit. Wenn kein Wecker mich aus dem Schlaf reißt, schlafe ich auch mal um die zehn Stunden. Gleichzeitig ist mir um diese Zeit sehr wichtig, mit den Menschen zusammen zu sein, die mir am wichtigsten sind. Jul hat darum für mich zwei Aspekte – den der (Heils)Gemeinschaft und den den Aspekt des wiederkehrenden Lichtes. Einen konkreten Mythos dagegen inszeniere ich bisher nicht; allein die astronomische Tatsache, daß die Tage wieder länger werden, macht mich schon glücklich.

Als wichtige Daten haben sich für mich in den letzten Jahren herauskristallisiert:

  • Die Sonnenwenden – Jul, wie oben beschrieben, und die Sommersonnenwende, der Höhepunkt der hellen Zeit
  • die Tagundnachtgleichen – der Beginn der hellen und der dunklen Jahreshälfte
  • das Ætt-Althing Ende Juli/Anfang August, das für mich auch eine wunderbare Zeit ist, um unter freiem Himmel zu sein.

Alle diese Bedeutungen sind an die klimatischen Bedingungen Mitteleuropas gebunden. Ich würde ganz andere Tage als bedeutsam wahrnehmen, würde ich etwa am Äquator oder auf der anderen Erdhalbkugel leben.

Für mich ist es durchaus wichtig, in diesen meinen Festen nicht einfach vorhandenes, christlich getöntes Brauchtum zu nehmen und heidnisch anzumalen, sondern nachzudenken: Was ergibt für mich einen Sinn? Welche Symbolik und (wenn ich darauf nicht verzichte) welche mythische Geschichte paßt zu diesem konkreten Fest? Ich mag auch nicht einfach fremde Ritualrezepte übernehmen, „weil man das so macht“ oder weil irgendeine heidnische Autorität das so schreibt.

Jahreskreisfeste sind, wo ich sie überhaupt gemeinsam mit anderen feiere, im Optimalfall Glanzpunkte in meinem spirituellen Leben. Sie sind für mich nicht sinnvoll, wenn ich nur zu den Festtagen was tue und ansonsten unspirituell vor mich hin dümple. In letzter Zeit haben alltägliche Rituale und Übungen für mich an Bedeutung gewonnen. Dazu kommen die Rituale, für die es keinen Anlaß im Jahreskreis gibt: Rituale, die ich, allein oder mit anderen, für persönliche Belange – meine oder die von Menschen, die mir nahestehen – mache. Eine Orakelsitzung, eine schamanische Reise, vielleicht ein Übergangsritus. Denn für diese Anliegen muß in meiner Spiritualität neben dem Feiern der Jahreszeiten Raum sein.

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