Nachdem mein Buchvorhaben seit ewigen Zeiten den unruhigen Schlaf des halbvergessenen Projekts schlief, habe ich das Konzept noch einmal gründlich überdacht – und schließlich über den Haufen geworfen! Was aber auf gar keinen Fall bedeutet, daß ich das Vorhaben, ein Buch zu schreiben, an sich begraben hätte. Es wird nur ein sehr anderes Buch als ursprünglich geplant.
Das Problem war: Ich konnte nicht genug Stimmen akquirieren und vor allem nicht in der Diversität, die ich mir erhofft hatte. Viele Menschen, die genau die Wege beschreiten, die mich interessierten, hielten sich für nicht berufen oder qualifiziert, trauten sich das Schreiben nicht zu oder hatten schlicht keine Zeit.
Und außerdem fand ich zwar viel Material, aber ich fand keine Struktur. Das Thema zerfaserte, ich bekam es nicht zu fassen und ich verhedderte mich immer wieder in Rechtfertigungen und Problembeschreibungen.
Ich fühle mich immer wieder auf Anfänge zurückgeworfen und keineswegs als Expertin – obwohl ich jetzt schon 18 Jahre auf heidnischen Wegen bin. Meine Praxis nehme ich als ziemlich eklektisch wahr (wenn auch das Nordische als große Klammer fungiert, die alles zusammenhält), ich bin keine irgendwie Offizielle, ich habe keinerlei formale Qualifikation in der spiritueller Hinsicht, habe meine Spiritualität nie professionalisiert (indem ich beispielsweise irgendwie am Lebenshilfemarkt teilnähme, ein Buch geschrieben hätte, Seminare anbieten würde), nie Rituale geleitet, pinne mir keinerlei Titel ans Revers. Ich habe kein System, keine abgeschlossene Theologie.
Was ist also mein neues Vorhaben? Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß ich eins sehr bitter vermisse: Eine Einführung ins Heidentum, die mit meinen Standards von queer positivity kompatibel ist und die einem wunden queeren Nervenkostüm möglichst wenig *ismen zumutet. Adressat_innen meines Buches sind eher queer oder heterosexismus-kritisch positionierte Menschen, die ins Thema hineinschnuppern möchten, als Heid_innen, die etwas über queer lernen möchten.
Ich kann kein „Hexenkult 1×1“ schreiben, weil ich selbst keine Hexe (mehr) bin. Ich will kein „Asatrú 1×1“ schreiben, weil Asatrú zwar meins, aber einfach nicht für jede_n passend ist. Ich will auf keinen Fall missionieren, sondern eine Entscheidungshilfe geben, ob der heidnische Bereich von nonstandard spiritualities für eine_n in Frage kommt.
Lieber will ich ein paar grundsätzliche heidnische Denkweisen und Praktiken darlegen, dazu ermuntern, bisher für wahr Gehaltenes über Religion und Spiritualität in Frage zu stellen, und Beispiele aus meiner Praxis geben, wie es anders geht. Ich will verbreitete heidnische Paradigmen und Praktiken darlegen, so wie ich sie vermitteln kann, und Hinweise geben, wo eins gut weiterlesen kann. Ich will Türen zum Finden einer eigenen Spiritualität aufmachen, besonders für die, die bisher davon ausgeschlossen waren/sind.
Ich will vor allem dazu ermutigen, Spiritualität und Religiosität als Bereiche zu sehen, die eins selbst gestalten und sich (zurück)nehmen kann.
Es wird ein gnadenlos subjektives Buch. Ich will meine Praxis beschreiben, das, was für mich funktioniert und was für mich tragfähig ist, und Anregungen geben, wo eins weiterlesen kann.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es soll auch kein „Heidentum für Schwule und Lesben“ werden. Denn das geht schnell in eine Richtung, wo heterosexuelle Heid_innen dann sagen können: „Ja aber ihr habt doch eigene Mysterien, geht und spielt mit denen“. Das ist fremdbestimmendes othering. Mich persönlich interessieren solche angeblichen schwulen und lesbischen Mysterien auch nicht die Bohne. (Zumal Homosexualität als Identitätskategorie erst im 19. Jh. entstand und sie viel zu oft mit transgender in einen Topf geworfen wird; mir ist zudem in meinen langen Jahren als Heidin kein einziger stichhaltiger Beleg für solche Mysterien untergekommen; wohlgemerkt: ich rede von Belegen für eine Praxis, nicht von ein paar mythologischen Bruchstücken; und two-spirit people in diesem Kontext zu vereinnahmen, halte ich für eine eurozentrische Fehlinterpretation.) Mir ist daran gelegen, Praktiken zu erschaffen, in denen Menschen jedes Geschlechts und jeder Begehrenskonfiguration sich zuhause fühlen können.
Mal sehen: Vielleicht wird ein Essay- und Lesebuch daraus, vielleicht ein Arbeitsbuch, vielleicht beides. Im Moment schreibe ich immer mal wieder wüst vor mich hin, erst einmal frei von der Leber weg, wo auch immer ich gerade Lust habe. Unterfüttern und überprüfen werde ich später. Derzeit habe ich zwei einleitende Kapitel im Rohbau fertig und eine sich ständig verändernde Gliederung.
Ich habe auch noch keinen Plan, wo und wie ich das Buch veröffentlichen werde. Es wäre mir daran gelegen, daß es für möglichst viele Menschen bezahlbar zu haben wäre – wenn nicht gar kostenlos. Ich habe keine Ahnung, ob irgendein Verlag irgendein Interesse daran hätte.
Aber erst einmal schreibe ich.