Dieses Buch lag schon lange auf meinem „zu rezensieren“-Stapel. Die Diskussionen, die ich in der letzten Zeit geführt habe, motivieren mich jetzt, diese überfällige Rezension fertigzustellen.
Ich weiß nicht mehr, mit welchen Motiven ich dieses Buch vor einigen Jahren gekauft habe. Drum herum kam ich kaum, wollte ich wenigstens ansatzweise einen Überblick über die überschaubare Literatur zu diesem Gebiet „LGBTQ und Hexen/Heidentum“ haben. Also ist hier mein Senf zu diesem Buch.

Penczak hat ein Anleitungsbuch über Hexenkunst geschrieben – komplett von den Grundlagen an, mit Meditationen, Korrespondenzen, einer Liste homo-freundlicher Gottheiten und massenweise Ritualen und Rezepten.
Im ersten Teil seines Buches geht es um die Frage: „Was ist eigentlich heute eine Hexe?“, um die Geschichte des Hexentums und um queer-positive Mythologie.
Der zweite Teil ist eine Einführung in das „Hexenhandwerk“ – Meditation, Gottheiten, Krafttiere, Altäre und Rituale. Penzcak betrachtet das Zuhause und den Körper einer Hexe als „Tempel“, als Ort, der „dazu geschaffen ist, eine Energie zu halten, die einen bestimmten geistigen Zustand nährt, eine Verbindung zum Göttlichen“.1.
Teil III widmet sich praktischen Anwendungen von Magie. Liebeszauber und Sex-Zaubern ist jeweils ein Kapitel gewidmet, Sexualmagie wird ausführlich erklärt (übrigens auf Arten, die meiner Meinung nach auch für heterosexuelle Paare tauglich ist), ein Kapitel befaßt sich mit heilender Magie, ein weiteres mit Jahreskreisfesten und eines mit Übergangsriten. Das Schlußkapitel wendet sich dann der Interaktion sowohl mit der heidnischen Community als auch der Gesamtgesellschaft zu.
Das Buch ist – bis auf ein paar Rituale, die mit Sexualpartner_in gedacht sind, und einige Gruppenrituale – auf solitary pagans ausgerichtet.
Penczak richtet sich primär an Hexen bzw. an Hexenkunst interessierte Menschen. Das Verständnis von Gottheiten, das in diesem Buch vorausgesetzt wird, ist ein anderes als das von eher rekonstruktionistisch orientierten Heid_innen; ein Verständnis, das letztlich pantheistisch ist und Synkretismus quasi voraussetzt, da seine Prämisse lautet:
Alle Götter führen sich zurück auf den Gott, alle Göttinnen führen sich zurück auf die Göttin.2
Das „gay“ im Titel ist zu übersetzen mit „homosexuell“, und das war es dann auch – Bisexuelle werden in diesem Buch nicht mitgedacht, erst recht nicht trans* und andere queers oder nicht-monogame Beziehungen. Zwar erläutert Penczak in seiner Einleitung, daß er LGBT mitdenken wolle, beharrt dann aber darauf, „gay“ habe „eine ganz spezielle Magie“ für ihn und gebraucht den Begriff deshalb anstelle von inklusiveren.
Problematisch finde ich seine Kolportage von Homosexuellen als „Heiler_innen, Lehrer_innen, Künstler_innen, Dichter_innen, Gelehrte und Helfer_innen für die Gemeinschaft“3 – denn das sind vage, aber uralte Klischee-Zuschreibungen.
Ich frage mich, wieviel Essentialismus in seiner Behauptung, Homosexuelle hätten einfach „eine ganz andere Mischung von Energien” 4, steckt.
In manchen Passagen – gerade im Katalog der Gottheiten – sehe ich die Gefahr einer Vereinnahmung von trans* und die Differenzierung zwischen trans* und homosexuell kommt mir unzureichend vor.
Ich werde insgesamt den Eindruck nicht los, daß Penczak aus einer schwulen Perspektive schreibt und die für LGBT-Menschen als repräsentativ hinstellt. Trotz des Disclaimers (der punktuell anzeigt, daß er sich der eigenen Perspektive bewußt ist) würde ich mir von einem Buch für LGBT-Menschen mehr kritische Reflexion der eigenen Position und Perspektive wünschen.
Die heterosexuelle Vereinigung als zentraler Mythos
Hier ist das, was mir am schwersten im Magen liegt: Penczaks gesamtes Götterbild beruht auf der Kern-Annahme: Die fundamentale Dualität im Göttlichen ist die zwischen männlich und weiblich; eine Dualität, die zugleich ein komplementäres Verhältnis konstituiert – somit beruht auch seine „gay witchcraft“ auf durch und durch heteronormativen Vorstellungen. Denn die Vorstellung von der heiligen Hochzeit als dem Schöpfungsakt schlechthin ist anscheinend derart zentral in dieser Art von Hexentum, daß Penczak sie nicht aufgeben kann. Salopp gesagt: Penczak nimmt im Grunde Wicca und pfropft ein bißchen gay positiveness drauf. Die Apologetik für das Ganze folgt alten Mustern: solitaries würden ohnehin beide Pole in sich verkörpern und vereinigen; „in Relation zum Göttlichen sind wir alle weiblich“5 (mit den altbekannten Konstruktionen des Femininen als Penetration empfangend, rezeptiv, [sexuell] passiv und sich hingebend); das Argument lautet ungefähr: „wir haben doch alle männliche und weibliche Anteile“.
Gleichgeschlechtliche Anteile in der Mythologie von Göttin und Gott, die er präsentiert (Kap.5), werden speziell schwulen Männern/lesbischen Frauen zugeschrieben, während die heterosexuellen Bildlichkeiten ihren zentralen Platz behalten und universell sein sollen.6
Überhaupt nimmt Sex einen derartigen Stellenwert in diesem Buch ein, daß es mir in Teilen geradezu hypersexualisiert vorkommt. Nicht-sexualisierte Beziehungen habe ich in diesem Buch kaum erwähnt oder gar gewürdigt gesehen.
Der Gottheiten-Katalog und die Aneignung von nichteuropäischen Kulturen
Die queeren Mythen, die er präsentiert, wirken auf mich gesucht – und in ihrer Präsentation oft spekulativ; es fehlen Quellenangaben und mir damit der Eindruck von belastbarem historisch/archäologischem Material, anhand dessen ich diese Mythen prüfen könnte. Penczak bedient hier ein offenbar vorhandenes Bedürfnis nach „homosexueller Geschichte“, als wolle er sagen: Seht her, Wir™ waren schon immer wichtig und hatten schon immer Rollen, die uns zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft machen. Daß dieses Verständnis von gesellschaftlichen Rollen ein verkürzt auf Reproduktion ausgerichtetes Verständnis heterosexueller Beziehungen bedient (welche gesellschaftliche Legitimation gibt es dann für die heterosexuellen Paare, die keine Kinder großziehen? Und wo passen da die Schwulen und Lesben hin, die Eltern sind/werden wollen?) und so ganz wunderbar in reaktionäre Vorstellungen paßt – dafür ist eine solche Interpretation blind. Der Götterkatalog, den er in Kapitel 3 präsentiert, könnte außerdem im Hinblick auf cultural appropriation problematisch sein: Gottheiten nicht nur aus europäischen Kulturen, sondern aus der aztekischen Kultur, Native American-Kulturen, Indien, Mesopotamien, China und aus Voodoo und Santeria werden in einer langen, langen Liste präsentiert mit jeweils einem Absatz bis einer Seite Erläuterung.
Aus dem Paradigma, daß „alle Göttinnen eine Göttin und alle Götter ein Gott“ sind, heraus, mag so ein Katalog von Gottheiten funktionieren; für eine Polytheistin meiner Prägung ist es ein Unding, Gottheiten derart herausgelöst aus ihren jeweiligen Kulturkontexten zu präsentieren und sozusagen aufzufordern: „Hier, such dir eine passende Gottheit für das heutige Ritual heraus.“
Ich will hier nicht generell synkretistische Praxis kritisieren – auch mein Asatrú und vor allem meine neoschamanistische Praxis würde ohne „Geborgtes“ nicht funktionieren. Ob und ggf. in welcher Weise, unter welchen Bedingungen es legitim ist, einzelne Gottheiten aus u.U. von kolonialistischer Geschichte und kolonialistischer Ausbeutung betroffenen Kulturen in die eigene Praxis zu integrieren – darüber wäre eine Debatte in der heidnischen Community wünschenswert.
Die Rituale
Ich bin auch sehr skeptisch, was das Kapitel Liebeszauber angeht, denn – Penczak gibt durchaus Anweisungen für eine auf eine bestimmte Person gerichtete Liebeszauber (wenn auch mit „entschärfenden Klauseln“ wie „wenn es für beide gut ist und niemandem Schaden zufügt“), etwas, das ich mit sehr großen Bauchschmerzen lese. Gerichtete Liebeszauber will ich NEVER EVER empfehlen, nicht, weil ich damit mal auf die Nase geflogen wäre oder so, sondern weil ich einfach eine Manipulation des Willens anderer Menschen, wie wohlmeinend und „entschärft“ auch immer, nicht propagiert sehen will.
Mich törnen auch die relativ skriptförmig präsentierten Rituale nicht so an; das liegt aber vielleicht an meinem Geschmack; ich mag strikt geskriptete „Ritualrezepte“ vor allem für Solo-Rituale nicht.
Fazit
Insgesamt: Für die, die diese Art von Ritualen mögen und sich mehr für Hexenkunst als für die kultische Ebene interessieren oder die ohnehin in einem wicca-geprägten Paradigma arbeiten wollen, ein gutes Arbeitsbuch – wenn eins denn darüber hinwegsehen mag, daß es aus einer Perspektive, die unter queer mehr als nur ein handliches Synonym für LGBT versteht, ein durch und durch problematisches Buch ist, wobei das größte (aber bei weitem nicht einzige) Problem in den zutiefst heteronormativen Voraussetzungen im Bild von Gottheiten liegt. Mit dieser genannten Grundvoraussetzung habe ich arge Schwierigkeiten, und mein Fazit muß deshalb lauten: Ein Buch, das bei mir sehr gemischte Gefühle hinterläßt.
Bibliographische Angaben
Penczak, Christopher. Gay Witchcraft: Empowering the Tribe. Red Wheel/Weiser, 2003.
- „created to hold energy that will nourish a certain state of mind, a connection to the divine“, S. 87 ↩
- „All gods lead back to the God, all goddesses lead back to the goddess.“, S. 63 ↩
- „healers, teachers, artists, poets, scholars, and aides to the community“, S. 28 ↩
- Original: „We have a different blend of energies and many need to recognize their differences as gifts and blessings“, S. XV ↩
- „we are all feminine in relation to the divine“, vgl. S. 110-111 ↩
- S. 64-65 ↩