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Über Spiritualität reden unter LGBT\*IQ

Im Juni war ich auf dem Femcamp Wien und habe dort unter anderem eine kleine Session über Spritualität gehalten. Das war ziemlich awkward und war so nicht geplant, aber ich habe mich mehr oder weniger mit einer zusammengeschlossen, die aus dem Göttinnenspiri-Spektrum kam und darüber reden wollte. Die anderen Teilnehmenden hatten völlig andere (Nicht)zugänge zum Thema, so daß ich überraschend viel Zeit damit verbrachte, mich zu erklären. Zeit, die dann fürs Reden über Strategien nicht vorhanden war.

Das Ding, über das ich gern geredet hätte: Es gab mal eine feministische Spiritualität in der Frauenbewegung; wie könnte emanzipatorische Spiritualität heute aussehen?Nun ist den meisten dieser Teil der feministischen Geschichte überhaupt nicht bekannt. Ich wüßte auch nicht, wo er irgendwo dokumentiert ist; etwas, das ich manchmal als Verlust empfinde. Und heute sehe ich das Emanzipatorische in spirituellen Zusammenhängen nicht mehr, bzw. nur noch selten, vor allem nicht als eine Beschäftigung mit queer, Intersektionalität, Rassismus, kultureller Appropriation etc.

In feministischen Zusammenhängen spüre ich oft eine materialistische linke Tradition am Werk (für die alles Religiöse rückschrittlich, Quietiv und zu überwinden ist) und bedaure, daß über Religion_Spiritualität nur geredet wird, wo sie Kackscheiße und unterdrückende Strukturen re_produziert. Denn ich bin fest davon überzeugt, daß spirituelle Praktiken heilsam und empowernd sein können.

Ich frage mich dann auch, warum die progressiven Kräfte innerhalb der Religionsgemeinschaften so wenig zur Notiz genommen werden. Oder überschätze ich die?

Und den Bedarf an weiblich-spirituellem Empowerment gibt’s ja nach wie vor: es gibt Göttinnenkonferenzen, es werden nach wie vor Hexenbücher geschrieben, die sich primär an Frauen richten, ich sehe scharenweise Facebook-Gruppen rund um Themen wie Göttinnen und Göttinnenspiritualität.

Wo aber ist das queere spirituelle Empowerment? Schreiben LGBT*IQ/queer verortete Menschen das Thema irgendwann einfach ab? Finden sie ihre Nischen, und wo? Im Grunde habe ich ja auch nur eine Nische gefunden.

Auf den Schultern von Gigant_innen

Je länger ich darüber nachdenke, je mehr ich Evolutionsprozesse in heidnischen Kreisen miterlebe, desto mehr kann ich würdigen, was die Pionierinnen feministischer Spiritualität in den 70ern und 80ern geleistet haben.

Nur bei den damaligen Sichtweisen stehenbleiben will ich halt nicht. Und das muß ich glücklicherweise nicht. Statt dessen sind heutige queer_feministische Diskurse ganz selbstverständlicher Teil meines Denkens über Spiritualität und meiner spirituellen Gestaltungsweise. Ich freue mich über jeden Blogpost und jedes Buch, in denen queere Lebensrealitäten ganz selbstverständlich mitgedacht werden. Aber auch: Was mir kaum zugänglich war, bevor ich Zugang zum Internet bekam, kann sich heute jede Junghexe innerhalb von Nullkommanichts anlesen. Ich baue auf der Arbeit von denen auf, die vor mir geschrieben haben – und muß gelegentlich auch die, auf denen ich aufbaue, kritisch beleuchten.

Ich freue mich auch, wenn ich sehe, wie sich (vor allem rekonstruktionistische) heidnische Praktiken von christlichen Deutungs- und Ritualmustern emanzipieren und eine ganz eigene Kultur erschaffen. (Und ich verstehe Kultur als Prozeß: Kultur ist etwas, das beständig durch Handlungen hervorgebracht und getragen wird.)

Mit Nicht-Heid_innen über Spiritualität reden

Manchmal wünsche ich mir, innezuhalten und mich zu fragen, welche Verständnisbrücken bezüglich meines Heidentums bauen kann, um mit nichtheidnischen Menschen über Spiritualität zu reden; wobei ich den Eindruck habe, daß ich mich mit Leuten, die eine Religion praktizieren, leichter verständigen kann als mit agnostischen, areligiösen oder atheistischen Menschen.

Was ich als Schlußfolgerung aus der mißratenen Session auf dem femcamp mitnehme, ist ein Wunsch: der Wunsch, mich mit anderen LGBT*IQ-Menschen, die irgendeine Form von Religion oder Spiritualität leben, über Strategien und „Baustellen“ zu unterhalten, sowohl, was das Umgehen mit LGBT*IQ/queeren Szenezusammenhängen als auch die Situation in Glaubensgemeinschaften/spirituellen Gruppen (oder deren Fehlen) angeht.

3 Comments

  1. MartinM 12. Juli 2014

    Auch wenn ich mit dem Feminismus nicht so vertraut bin, fällt mir doch der Einfluss der materialistische, „linke“, deutlich antimetaphysischen Denktradition auf viele feministische Autorinnen auf. Ich sehe starke Parallelen zum Vulgärmarxismus, aber bizarrerweise auch zum „neoliberalen“ Denken. (Letzten Endes teilen „Vulgärsozialismus“ und „Vulgärkapitalismus“ ja viele Doktrinen, z. B. das praktisch alles gesellschaftliche Handeln auf die Ökonomie reduziert wird, den „Klotzmaterialismus“, den Wachstumsglauben, die Vorliebe für einfache Patenrezepte, die Verachtung für Demokratie usw. – bei allen Unterschieden vor allem im Menschenbild und hinsichtlich der Gleichheit.)

    Ich rede, anders als Du, nicht so gern nichtheidnischen Menschen über Spiritualität. Nicht mehr, denn ich bin zu oft missverstanden worden – so locker über meine spirituellen / „paranormalen“ Erlebnisse bloggen, wie ich es vor Jahren tat, würde ich heute nicht mehr. Wenn ich spirituelle / religiöse Themen ausklammere (nach dem alten, bewährten Prinzip „Religion ist Privatsache“), kann ich mich deutlich leichter mit agnostischen, areligiösen oder atheistischen Menschen – insofern sie Naturalistinnen sind – als mit Religiösen verständigen. Was daran liegen mag, dass ich mich von einer klassischen Naturalistin nur insofern unterscheide, dass ich einige Dinge für völlig natürlich halte, die „herkömmliche“ Naturalisten als „übernatürlich“ und damit inexistent bezeichnen würden. Hingegen scheinen sich stark religiöse Mensche dazu zu neigen, mich gründlich misszuverstehen – was allerdings auch an meinen unzureichenden sprachlichen und didaktischen Fähigkeiten liegen mag. LG Martin

  2. Hamamelis 14. Juli 2014

    Martin, ich kann mit deinem Kommentar sehr viel anfangen.

    Ich denke mir, dass es gerade im akademischen Umfeld oft nicht möglich ist, den Geist für metaphysische Dinge zu öffnen, weil das nicht dem gängigen WIssenschaftsbegriff entspricht. Einerseits ist das schade, andererseits hat es sicher auch Gutes gebracht. Schwarz-weiß-Denken Ich habe dafür schon wunderbare spirituelle Gespräche mit ChristInnen gehabt, die akzeptiert haben, dass ich nicht ihren Gott meine und dass es den Religionen übergeordnete spirituelle Erfahrungen gibt.

    Mir ist der Austausch mit anderen Queers in vielen Lebensbereichen extrem wichtig und in spiritueller Hinsicht vermisse ich ihn sehr.

    Trotzdem sehe ich die Thematik als sehr privat an und schütze mich in diesem Bereich auch sehr, weil ich auch nicht dauernd irgendwelche Basics diskutieren bzw. mich verteidigen will.

  3. thursa 16. Juli 2014

    Martin, wenn Spiritualität nicht im Spiel ist, geht es mir ähnlich wie Dir. Und in den meisten politischen Angelegenheiten finde ich mich eher im nicht-religiösen Lager wieder. Nur wenn’s um Spirituelles geht – da ist schon mein Bedürfnis danach für viele (in lack of a better term) areligiöse/spirituell indifferente Menschen nicht nachzuvollziehen.

    Wie offen ich damit sein kann/will, das ist eine unabgeschlossene Baustelle …

Kommentare sind geschlossen.

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