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Meine katholische Umwelt und ich: Update und Reflexion

Vor etwa dreieinhalb Jahren bin ich von Freiburg in den Hochschwarzwald umgezogen. Und damit hat sich auch meine kulturelle Umwelt deutlich verändert; ich bekomme im Schwarzwald eine wesentlich stärker christlich – namentlich katholisch – geprägte Umwelt mit. Ich bin hier oben auch etwas stärker in meine Nachbarschaft eingebunden und habe tatsächlich mehr Freund_innen vor Ort als in Freiburg, was ich an sich nicht schlecht finde.

Ich habe seitdem ein stärkeres Bedürfnis, als Asatrú sichtbar zu sein. Ein Bedürfnis, das ziemlich unmöglich zu erfüllen scheint, weil meine Umwelt in weiten Teilen nicht mal weiß, was Asatrú ist. Ich habe in der Vorweihnachtszeit regelmäßig ein Gefühl, das ich „christianity overload“ nenne: über die Herzensfrau und ihre Schule komme ich mit dem üblichen Vorweihnachts-Feiern stärker in Berührung, und in meinem neuen Kammerchor (in dem ich seit 2017 singe) steht jedes Jahr mindestens ein Weihnachtskonzert auf dem Programm – fast immer in einem Kirchenraum, und immer mit einem mindestens teilweise geistlichen Programm.

Über den Chor kommen auch ab und zu Einladungen, Gottesdienste mitzugestalten. Ein paarmal habe ich das (mit sehr gemischten Gefühlen) mitgemacht. Es ist nicht nur das ungefragte Subsumiert-Werden in eine christliche Mehrheitskultur, das mir da Schwierigkeiten macht. Ein wenig ist es auch die fehlende Anerkennung: mit Glück gibt es ein „Danke“ und einen feuchten Händedruck, vielleicht noch eine kurze Erwähnung irgendwo im Gottesdienst oder im Begleitmaterial. Für unsere Konzerte gibt es in der Regel auch keine Gage, aber sie fühlen sich für mich deutlich lohnender an.

Auch sonst bin ich in den letzten Jahren gelegentlich zu Erstkommunionen und Konfirmationen eingeladen worden. Dagegen habe ich im Prinzip nichts. Es überrascht mich dann nur immer wieder, wenn ich eine von sehr wenigen Nicht-Christ_innen bin, und die Etikette-Fragen (bleibe ich bei diesem Gebet sitzen? Singe ich jetzt was mit oder nicht?) fühlen sich jedesmal tricky an.

Wie gehe ich damit konstruktiv(er) um?

  • Ich habe die Entscheidung getroffen, in der Regel nicht als Sängerin in (christlichen) Gottesdiensten mitzuwirken. In einem rein konzertanten Setting geistliche Musik zu singen, ist für mich mittlerweile weitgehend OK, auch Konzerte in Kirchen sind OK – bei der aktiven Teilnahme an Gottesdiensten ziehe ich eine Grenze.
  • Ich weiche Fragen der Religion nicht aus. Ich bin in weiten Teilen meines Umfelds als Asatrú out. Ich glaube, ich könnte durchaus noch mehr „out and proud“ sein – aber dafür habe ich noch keine guten Wege gefunden.

Weihnachten?

Die letzten Jahre bestand mein Ansatz beim Thema Weihnachten darin, meine eigene Praxis auszubauen. Gegen den „Christianity Overload“ und das Gefühl von Einsamkeit hilft mir zum einen die Freude auf das jährliche Jultreffen mit der Nornirs Aett; zum anderen aber, eine Praxis zu haben, die ich als sinnstiftend und tragend empfinde.

Die Julzeit ist sowieso ein spezielles Kapitel voller Widersprüche; darüber schreibe ich mal einen Artikel :)

Wie könnten Nicht-Heid_innen hilfreich sein? Was würde ich mir wünschen?

  • Bilde dich. Ich würde mir wünschen, Leute wüssten allgemein mehr über Spiritualitäten und Religionen. In Deutschland ist die Antwort, die ich bekomme, wenn ich erwähne, dass jemand aus meiner Verwandtschaft Sikh ist, oft ein „Nie gehört, was ist das?“, während im englischsprachigen Raum deutlich mehr Leute zumindest eine vage Vorstellung davon haben. Das bezieht sich nicht nur auf „exotische“ Religionen: Viele Menschen hierzulande haben nicht mal eine Ahnung, was es innerhalb des Christentums für eine Diversität gibt! Ich beantworte gerne ehrlich interessierte Fragen, dann wünsche ich mir aber, dass das Gegenüber sich Zeit für meine differenzierte Auskunft nimmt. Denn welche Gottheiten ich verehre, ist nur ein kleiner Teil meiner Spiritualität.
  • Respektiere meine Feiertage. Ich wünschte, ich könnte mir herausnehmen, an meinen Hochfesten nein zu Einladungen etc. zu sagen und mich zum Beispiel von Chorproben zu entschuldigen, um Zeit für meine Gottheiten und meine Praxis zu haben. (Und vielleicht mache ich das mal probehalber, wenn ich wieder vor einer solchen Frage stehen sollte; in Bezug auf Feiertage ist meine Praxis ohnehin flexibel und pragmatisch.)
  • Arbeite daran, deine christliche Bias zu überwinden. Mit „christliche Bias“ meine ich hier vor allem den eingeengten Begriff von Religion/Spiritualität, den ich oft antreffe.
  • Und das Wichtigste zuletzt: Nimm auch bei Menschen, die nicht migrantisiert wirken, nicht an, dass sie entweder areligiös oder christlich sind.

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